Als sich im 13. Jahrhundert die ersten Tai-Reiche in Südostasien bildeten, suchten ihre Herrscher nach einem gemeinsamen religiösen Fundament. Im Gebiet des heutigen Thailand war der Einfluss Indiens längst spürbar. Händler, Mönche und Pilger brachten Schriften und Bräuche aus Sri Lanka und Birma mit. So gelangte eine Form des Buddhismus nach Siam, die sich auf die frühen Texte der Pali-Tradition stützte. Sie wurde später als Theravada bezeichnet, die „Lehre der Alten“.
Frühe Spuren
Die ältesten Hinweise auf buddhistische Lehren auf thailändischem Boden reichen bis ins 3. Jahrhundert v. Chr. zurück. In den Chroniken wird berichtet, dass die Missionare Sona und Uttara im Auftrag des indischen Kaisers Ashoka in das Land Suvarnabhumi gesandt wurden. Manche Gelehrte vermuten, dass diese Region im Gebiet des heutigen Nakhon Pathom lag. Schriftliche Belege fehlen, doch archäologische Funde und Legenden deuten auf frühe Kontakte hin, die den Boden für spätere Entwicklungen bereiteten.
Ursprünge und Lehre

Nach den überlieferten Chroniken wurde Siddhartha Gautama, der Buddha, um 563 v. Chr. im heutigen Nepal geboren. Seine Lebensdaten sind nicht gesichert, doch seine Lehre verbreitete sich rasch über Nordindien hinaus. Im Mittelpunkt steht die Einsicht, dass alles Dasein vom Leiden durchzogen ist und dass dieses Leiden eine Ursache hat: den Wunsch, festzuhalten, was sich nicht festhalten lässt. Wer diesen Wunsch überwindet, kann das Ziel des Erwachens, das Nirwana, erreichen.
Buddha fasste diesen Weg in vier „edlen Wahrheiten“ zusammen. Sie beschreiben das Leiden, seine Ursache, seine Überwindung und den Weg dorthin. Der sogenannte Achtfache Pfad umfasst rechte Einsicht, Entschluss, Rede, Verhalten, Lebensführung, Anstrengung, Achtsamkeit und Meditation. Diese Grundsätze bilden das Gerüst der Lehre, die in Asien viele Formen annahm.
Der Weg nach Süden

In den Jahrhunderten nach Buddhas Tod entwickelten sich verschiedene Schulen, die seine Worte und Gleichnisse unterschiedlich deuteten. Aus der ältesten Überlieferung ging der Theravada hervor, der sich besonders in Sri Lanka festigte. Von dort gelangte er nach Südostasien, wo er im 11. und 12. Jahrhundert im Königreich Pagan in Birma gefördert wurde. Missionare und Mönche aus diesem Umfeld reisten weiter nach Sukhothai, der ersten Hauptstadt der Thai. Unter König Ramkhamhaeng (reg. um 1279–1298) wurde die Pali-Tradition zur Grundlage des religiösen Lebens erhoben.
Der Glaube verband sich mit der königlichen Herrschaft. Der König galt als Förderer der Lehre und als Beschützer der Sangha, der Gemeinschaft der Mönche. Tempel und Klöster wurden zu Bildungsstätten, in denen neben religiösen Texten auch Sprachen, Medizin und Astronomie gelehrt wurden. So prägte der Theravada-Buddhismus Bildung, Verwaltung und moralische Vorstellungen des Reiches.
Vielschichtige Traditionen
Der Buddhismus in Thailand nahm im Lauf der Jahrhunderte eine eigene Gestalt an. Neben dem singhalesischen Theravada wirkten auch chinesische Strömungen, insbesondere durch die große sino-thailändische Bevölkerung, sowie hinduistische Elemente, die in der Königssymbolik fortleben. Hinzu kommen alte Vorstellungen vom Wirken der Geister, die als Phi bezeichnet werden und im Alltag vieler Menschen eine Rolle spielen. Aus diesen Einflüssen entstand eine religiöse Kultur, die sich an den Lehren des Theravada orientiert und zugleich lokale Formen bewahrt.
Der Kreislauf und das Ziel

Nach der Lehre Buddhas gibt es keine bleibende Seele. Alles, was existiert, unterliegt dem Wandel. Mit dem Tod endet das Dasein nicht, es setzt sich in neuer Form fort. Menschen, Tiere, Geister oder Götterwesen werden immer wieder geboren, bis der Kreislauf durch Erkenntnis und Loslösung endet. Diese Vorstellung der Wiedergeburt prägt den Alltag in Thailand bis heute.
Um den Weg zur Befreiung zu gehen, gelten im täglichen Leben fünf grundlegende Regeln: Niemandem Schaden zufügen, nicht stehlen, Maß in sexuellen Beziehungen halten, die Wahrheit achten und auf berauschende Mittel verzichten. Diese Gebote sollen das Handeln leiten und den Geist klären. Der Achtfache Pfad und die tägliche Übung führen, so die Vorstellung, Schritt für Schritt zu innerer Ruhe.
Reform und Gegenwart
Im 19. Jahrhundert führte König Mongkut (Rama IV.), der selbst viele Jahre als Mönch lebte, umfassende Reformen durch. Er stärkte Bildung, Disziplin und die Organisation der Sangha und gründete den Thammayut-Orden, der auf genaue Auslegung der Pali-Texte achtet. Neben ihm besteht bis heute der größere Maha-Nikaya-Orden. Beide Richtungen prägen das religiöse Leben und verbinden Tradition mit Erneuerung.
Der Theravada-Buddhismus blieb in Siam über die Jahrhunderte stabil. Auch heute bilden die Klöster Orte der Meditation und Zentren des sozialen Lebens. Mönche begleiten Feste, beraten Familien und übernehmen Aufgaben, die in vielen Dörfern als moralische und kulturelle Orientierung gelten.
Die „Lehre der Alten“ hat in der Gegenwart ihre eigene Form gefunden. Sie ist Teil der Landschaft, der Sprache und des Alltags – eine Tradition, die sich über viele Jahrhunderte hinweg erhalten hat.

Zum Weiterlesen
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Gombrich, Richard (2006): Theravada Buddhism – A Social History from Ancient Benares to Modern Colombo * – Standardwerk zur Entwicklung der südlichen Schule.
Swearer, Donald (2010): The Buddhist World of Southeast Asia * – Überblick zu Geschichte und Praxis im Raum Thailand, Laos und Birma.
Bildnachweis
Titel: Wat Benchamabophit Dusitwanaram (Marmortempel), 2010.
Alles eigene Aufnahmen.
