
Bikini war einst ein entlegener, aber funktionierender, kleiner Kosmos. Die Menschen lebten in großfamilialen Strukturen, nutzten die Ressourcen ihres Atolls und schufen ihre eigene Kultur.
Diese Welt geriet 1946 aus den Fugen, als die USA Bikini als Testgelände für Atomwaffen auswählten. Die Zustimmung der Bikiner wurde als freiwillig dargestellt, war jedoch Ausdruck eines asymmetrischen Machtverhältnisses und mangelnden Verständnisses für die Tragweite der Entscheidung.
Eine abgelegene Gesellschaft
Bikini lag im nördlichen Teil der Marshallinseln, abseits der hauptsächlichen Handelsrouten. In der Kolonialzeit war das Atoll kaum von europäischen oder japanischen Strukturen durchdrungen worden. Diese Isolation förderte eine hohe soziale Kohäsion, aber auch eine gewisse Verletzlichkeit gegenüber außenpolitischen Entscheidungen. Die Landverteilung war Ausdruck sozialer Ordnung; das Atoll bildete den Rahmen einer intakten Lebensweise.
Für „die Menschheit“
Im Februar 1946 baten Vertreter der US-Marine die Bewohner Bikinis um ihre Zustimmung zur zeitweiligen Umsiedlung. Man wolle Tests für den Frieden durchführen, um künftige Kriege zu verhindern. Der Anführer der Bikiner, Juda, erklärte stellvertretend für seine Gemeinschaft die Bereitschaft zum Umzug.
Die Szene wurde bewusst inszeniert: Uniformierte Vertreter, kirchlicher Rahmen, die Berufung auf höhere Zwecke. Die Bikiner hatten im Vorfeld beraten und traten geschlossen auf. Widerstand hätte den kulturellen Normen widersprochen. Die Entscheidung war weniger ein autonomer Entschluss als vielmehr ein Akt kollektiver Gefügigkeit gegenüber einer übermächtigen Autorität.
Hunger und Geister

Die erste Station des Exils war Rongerik, ein kleineres, früher als unbewohnbar geltendes Atoll. Neben der knappen Wasserversorgung und geringen landwirtschaftlichen Nutzbarkeit kursierten unter den Marshallesen auch Berichte über böse Geister auf der Insel. Die Versorgung durch die US-Verwaltung war unzureichend. Bereits wenige Wochen nach der Umsiedlung begann die Nahrung knapp zu werden, Fischvergiftungen und Mangelernährung nahmen zu.
Zeitzeugenberichte sprechen von wachsender Schwäche, Schmerzen und dem Gefühl der Verlassenheit. Die ehemalige Sozialstruktur zerfiel unter dem Druck des Mangels. Trotz aller Entbehrungen hielten viele an der Hoffnung fest, bald nach Bikini zurückkehren zu können.
Gebrochene Treuhandschaft
Die Situation auf Rongerik verschlechterte sich zusehends, ein Brand zerstörte einen Teil der ohnehin spärlichen Ressourcen. Die US-Behörden reagierten zögerlich. Erst als Berichte in der amerikanischen Presse die drohende Hungersnot öffentlich machten, wurde eine Umsiedlung erwogen. Doch selbst hier zeigten sich Prioritäten: Obwohl die Bikiner bereits mit dem Aufbau eines neuen Lagers auf Ujelang begonnen hatten, wurde dieser Ort stattdessen für eine andere Bevölkerungsgruppe freigegeben. Die Bikiner mussten erneut warten.
Formal standen die USA in der Pflicht: Als Treuhänder für das UN-Verwaltungsgebiet hatten sie sich zur Sicherung von Land, Ressourcen und Wohlergehen der lokalen Bevölkerung verpflichtet. Die faktische Praxis stand im Widerspruch zu dieser Selbstverpflichtung. Hunger, Missachtung kultureller Normen und das Fehlen transparenter Kommunikation kennzeichneten den Beginn des „nuklearen Exils“ der Bikiner.
Die zweite Station ihrer Odyssee, Kwajalein, war ebenfalls nur ein Provisorium. Die Gemeinschaft lebte dort in Zelten neben einer US-Militärbasis. Erst 1948 wurde mit Kili ein dauerhafterer Standort gewählt – ein Ort, der sich bald als ebenso ungeeignet erweisen sollte.

Zum Weiterlesen
- Jack Niedenthal: For the Good of Mankind – A History of the People of Bikini and Their Islands (Majuro 2001) – Erfahrungsbasierte Darstellung mit zahlreichen Interviews
- Holly M. Barker: Bravo for the Marshallese – Regaining Control in a Post-Nuclear, Post-Colonial World (2004) – Ethnografische Analyse der politischen Folgen
Bildnachweis
Karte Kili: Wikimedia Commons, zuzu macumba.
Alle weiteren public domain.