Krieg um Kaschmir – Die erste offene Konfrontation 1947/48

Einleitung

Mit der Grenzziehung im Punjab war die Teilung Britisch-Indiens keineswegs vollendet. Bereits im Herbst 1947 entbrannte ein neuer Konflikt, der seinen Ursprung nicht in der Aufteilung der Kolonialprovinzen, sondern im ungeklärten Status des Fürstenstaats Kaschmir hatte.

Dieser erste Krieg zwischen Indien und Pakistan begründete einen bis heute andauernden Territorialstreit. In politischer wie symbolischer Hinsicht markierte er den Übergang von der kolonialen Neuordnung zu einer offenen Konfrontation zwischen zwei sich rasch konsolidierenden Staaten.

Kaschmir zwischen den Staaten

Hari Singh, 1944

Jammu und Kaschmir war ein Fürstentum mit einer überwiegend muslimischen Bevölkerung, aber einem hinduistischen Herrscher: Maharadscha Hari Singh. Er regierte autoritär, hatte wenig Rückhalt in der muslimischen Mehrheitsbevölkerung und war bis zuletzt wirtschaftlich wie politisch von britischen Beratern abhängig geblieben.

Wie alle Fürstenstaaten war Kaschmir 1947 nominell souverän. Die britische Teilungsakte betraf es nicht unmittelbar. Doch eine dauerhafte Unabhängigkeit war realpolitisch kaum durchsetzbar. Indien und Pakistan erwarteten den Beitritt Kaschmirs jeweils unter Berufung auf unterschiedliche Prinzipien: Für Pakistan war die muslimische Bevölkerungsmehrheit entscheidend und Indien verwies auf das Recht des Herrschers zur freien Entscheidung.

Hari Singh zögerte. Er versuchte, zwischen beiden Optionen zu lavieren, schloss ein vorläufiges Abkommen mit Pakistan über Handelswege, unterdrückte aber gleichzeitig unliebsame politische Bewegungen im eigenen Land, etwa die Muslim Conference und die National Conference unter Sheikh Abdullah. Die Lage war angespannt, aber noch offen.

Stammesangriff und politischer Dammbruch

Paschtunische Kämpfer, Oktober 1947

Am 22. Oktober 1947 überschritten mehrere Tausend bewaffnete Männer aus pakistanischen Grenzregionen die Grenze nach Kaschmir. Sie rekrutierten sich überwiegend aus paschtunischen Stämmen und wurden mit logistischer Hilfe und Waffen aus Pakistan versorgt. Zeitzeugen und spätere militärische Berichte deuten darauf hin, dass Teile der pakistanischen Führung bereits im Spätsommer 1947 den Einsatz solcher Milizen vorbereitet hatten. Ziel war es, ohne formale Kriegserklärung vor Ort Tatsachen zu schaffen und den Anschluss Kaschmirs an Pakistan zu erzwingen.

Der Angriff war zwar politisch koordiniert und militärisch unterstützt, doch im Gelände fehlte eine zentrale Führung. Die Stammeskämpfer operierten uneinheitlich, viele Einheiten verfolgten eigene Ziele, und Disziplinlosigkeit führte zu Plünderungen und Übergriffen. In Baramulla kam es zu schweren Gewaltakten gegen die Zivilbevölkerung, darunter auch gezielte Tötungen und die Zerstörung zentraler Infrastruktur.

Paschtunische Kämpfer, November 1947

Die Angriffe hatten nicht nur militärische, sondern auch weitreichende humanitäre Folgen. In der Region Jammu wurden 1947 nach groben Schätzungen zwischen 20.000 und 100.000 Muslime getötet1, auf beiden Seiten kam es zu großflächiger Vertreibung. Allein aus Jammu flohen rund 400.000 Menschen, während in den pakistanisch kontrollierten Gebieten wie Mirpur und Poonch die nicht-muslimische Bevölkerung nahezu vollständig verschwand.

Hari Singh floh in Richtung Jammu. In dieser Lage ersuchte er die indische Regierung um militärische Hilfe. Diese machte ihre Hilfe vom Beitritt Kaschmirs abhängig. Der sogenannte „Instrument of Accession“ wurde unterzeichnet, und indische Truppen wurden noch am selben Tag zur Hilfe gesandt. Pakistan erkannte den Beitritt nicht an und stellte reguläre Truppen dagegen.

Militärische Entwicklung und Waffenstillstand

In den folgenden Monaten kam es zu einer offenen militärischen Auseinandersetzung. Indische Einheiten sicherten zunächst die Verbindung zwischen Srinagar und Jammu. Pakistanische Kräfte hielten das westliche Kaschmir, darunter Gilgit und Teile des heutigen Azad Kashmir. Die Front verlief in unzugänglichem Gelände, die Kämpfe waren hart und dezentral.

Im Januar 1948 legte Indien den Konflikt dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen vor. Das Gremium empfahl einen Waffenstillstand und einen späteren Volksentscheid über die Zukunft Kaschmirs. Die Feuerpause trat zum Jahreswechsel 1948/49 in Kraft. Die Waffenstillstandslinie, später „Line of Control“ genannt, wurde internationale Referenzlinie, aber kein anerkannter Grenzverlauf.

Der geplante Plebiszit scheiterte an gegensätzlichen Voraussetzungen. Pakistan bestand auf einem Truppenrückzug Indiens vor einer Abstimmung, Indien verlangte zuvor die vollständige Entwaffnung der pakistanischen Milizen. Die diplomatischen Verhandlungen kamen zum Stillstand.

Kaschmir als dauerhafter Konfliktherd

Der Krieg hatte weitreichende Folgen. Der indische Teil Kaschmirs wurde unter Artikel 370 der Verfassung in das föderale System integriert, erhielt aber weitreichende Sonderrechte. Diese Autonomie wurde allerdings im August 2019 von der indischen Regierung aufgehoben, mit der Begründung der Terrorbekämpfung und der besseren Integration dieser Landesteile. In Pakistan entstand parallel eine eigene Verwaltung mit symbolischer Eigenstaatlichkeit.

Kaschmir wurde zum zentralen Bezugspunkt der pakistanischen Außenpolitik und diente als Rechtfertigung für einen permanenten Sicherheitsdiskurs. In Indien wurde der militärische Einsatz zur Rettung des Staates Teil einer patriotischen Selbstdarstellung. Die Ereignisse von 1947/48 ließen sich in die nationalen Gründungserzählungen beider Länder einbauen, obwohl die politische Wirklichkeit deutlich komplexer war.

So entstand aus einem regionalen Territorialstreit ein symbolisch aufgeladener Konflikt, der die Beziehungen zwischen Indien und Pakistan bis in die Gegenwart beeinflusst.

Die bergige Landschaft Jammu und Kaschmirs, 2001

Zum Weiterlesen

  • Šumit Ganguly: The Crisis in Kashmir: Portents of War, Hopes of Peace. Cambridge University Press, 1997.
    → Analyse der politischen Dynamik des ersten Kaschmirkriegs, mit Schwerpunkt auf Entscheidungsfindung in Delhi und Karachi.
  • Victoria Schofield: Kashmir in Conflict: India, Pakistan and the Unending War. I.B. Tauris, 2003.
    → Überblick über die Genese des Kaschmir-Konflikts und seine politische Entwicklung bis in die Gegenwart.
  • A.G. Noorani: Article 370: A Constitutional History of Jammu and Kashmir. Oxford University Press, 2011.
    → Juristische Perspektive auf den Beitritt Kaschmirs zur Indischen Union und die daraus folgenden verfassungsrechtlichen Konflikte.
  • Christopher Snedden: Understanding Kashmir and Kashmiris. Hurst, 2015.
    → Überblickswerk mit detaillierten Angaben zur Gewalt und Vertreibung im Jahr 1947 sowie zur Entwicklung des Konflikts bis in die Gegenwart.
  • Sum, Moorthy & Benny: The Genesis of Kashmir Dispute. In: Asian Social Science, Vol. 9, No. 11 (2013).
    → Darstellung der militärischen Vorbereitung des Stammesangriffs auf Kaschmir durch pakistanische Stellen.

Bildnachweis

Titel: Karte von Jammu und Kaschmir, National Geographic, 1946.

Pferde auf Weide: Wikimedia Commons, UnpetitproleX.

Alles weitere Public domain.

  1. Todesopfer- und Flüchtlingszahlen nach Snedden (2015). ↩︎

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