Frühe Kontakte über die See
Im späten 16. Jahrhundert begannen Seeleute und Händler aus der Provinz Fujian, die Gewässer vor Taiwan regelmäßig zu befahren. Einzelne Fischer und Händler dürften schon früher dort gewesen sein, doch aus dieser Zeit gibt es keine Hinweise auf dauerhafte Siedlungen. Erst gegen Ende der Ming-Zeit nahm der Austausch deutlich zu. Händler aus Zhangzhou und Quanzhou nutzten die Monsunwinde, um mit Booten über die Formosastraße zu fahren. Sie brachten Werkzeuge, Textilien und Metallwaren und kehrten mit Reis, Zucker und Hirschhäuten zurück. Diese Fahrten blieben außerhalb staatlicher Kontrolle, bildeten aber den Beginn engerer Verbindungen zwischen den Küsten Fujians und der Insel Taiwan.
Migration und Küstenhandel
Die Bevölkerung an der Südostküste Chinas war in Bewegung. Nach Jahrzehnten von Aufständen, Piraterie und wirtschaftlichen Krisen wanderten viele Familien aus Fujian und Guangdong ab. Die Seewege zwischen den Inseln der Formosastraße boten Gelegenheiten für Handel und neue Siedlungen. Kaufleute, Seeleute und Abenteurer folgten den saisonalen Winden über das Meer und errichteten kleine Stützpunkte an der Westküste Taiwans. Dort entstanden Märkte, auf denen Waren aus China gegen lokale Erzeugnisse getauscht wurden. Der Handel über die Meerenge wurde zu einem festen Bestandteil des Küstenlebens.
Diese Kontakte blieben zunächst punktuell. Die Gruppen aus Fujian lebten meist nur für begrenzte Zeit auf der Insel, während der Ernte oder der Trockenzeit, und kehrten dann auf das Festland zurück. Taiwan lag außerhalb der offiziellen Verwaltung und gehörte nicht zum Gebiet der Ming-Dynastie, war aber Teil des wirtschaftlichen Lebensraums, der sich über die Meerenge erstreckte. Viele Siedler kamen aus den überbevölkerten Regionen der südlichen Küstenstädte, wo das Land knapp war. Sie suchten neue Anbauflächen und Absatzmärkte. Die Überfahrt war gefährlich, doch der Gewinn lockte. Erst im frühen 17. Jahrhundert entstand ein dichterer Austausch, als der private Küstenhandel trotz staatlicher Verbote an Bedeutung gewann.
Zwischen Duldung und Kontrolle
Die Ming-Regierung betrachtete die wachsende Mobilität der Küstenbevölkerung mit Misstrauen. Nach jahrhundertelangen Piratenüberfällen hatte sie den Seehandel stark eingeschränkt und sah in der Abwanderung eine Gefahr für die Stabilität der Küstenprovinzen. Das Verbot privater Auswanderung blieb bestehen, wurde jedoch selten durchgesetzt. Lokale Beamte in Fujian und Guangdong profitierten selbst vom Schmuggel und von den Märkten, die sich entlang der Küste etablierten. Auf diese Weise verbanden sich illegale Geschäfte und staatliche Duldung zu einem Handelsnetz, das bis nach Japan und in die Philippinen reichte.
Hokkien-Netzwerke in Südostasien
Diese Migration aus Fujian war kein Einzelphänomen, sondern Teil eines größeren Musters. Hokkien-Kaufleute unterhielten im 17. Jahrhundert weitreichende Handelsnetzwerke, die von Manila über Batavia bis nach Hội An und Ayutthaya reichten. Diese Gemeinschaften bildeten eine wirtschaftliche Diaspora, die auf familiären und regionalen Verbindungen beruhte. Die Hokkien-Netzwerke entstanden bereits im 16. Jahrhundert und verbanden China eng mit den aufstrebenden kolonialen und einheimischen Handelsplätzen Südostasiens.

Ihre Erfahrung im Umgang mit unterschiedlichen politischen Mächten erleichterte auch die spätere Kooperation mit der Vereenigde Oostindische Compagnie (VOC), der niederländischen Ostindien-Kompanie. Als Taiwan in diesen Raum einbezogen wurde, konnte es unmittelbar an bestehende Strukturen anknüpfen. Kaufleute aus den etablierten Häfen verfügten über erfahrene Mittelsmänner, Schiffe und Handelskontakte, die den Aufbau neuer Märkte erheblich erleichterten. Die Insel wurde damit zu einem Knotenpunkt in einem bereits bestehenden maritimen System.
Begegnung mit den indigenen Gemeinschaften
Die Beziehungen zwischen chinesischen Neuankömmlingen und indigenen Gruppen waren vielgestaltig. In manchen Gegenden entstand ein regelmäßiger Austausch. In anderen kam es zu Überfällen und Streit um Ernteerträge. Einige Siedler organisierten sich bewaffnet, um ihre Felder zu sichern. So bildeten sich erste isolierte chinesische Ansiedlungen im Südwesten Taiwans. Sie blieben klein und voneinander getrennt, standen aber in ständigem Kontakt mit den benachbarten Dörfern. Handel, Heiraten und lokale Bündnisse verbanden beide Seiten, auch wenn die Interessen oft auseinanderliefen.
Zheng Zhilong und die niederländische Expansion

In diesem Umfeld aus wachsendem Handel und unsicherer Grenzlage trat Zheng Zhilong auf. Der aus Fujian stammende Kaufmann und Seefahrer begann im frühen 17. Jahrhundert, den Küstenhandel der Region zu prägen. Er verband legale Geschäfte mit Schmuggel und unterhielt Handelsbeziehungen nach Manila, Nagasaki und in die Häfen von Zhangzhou. Nach der niederländischen Landung von 1624 nutzte er das neue Handelsumfeld, um seinen Einfluss auszuweiten. Die niederländische Kolonie von Tayouan zog zahlreiche chinesische Arbeiter und Händler an, und Zheng wurde zu einem Vermittler zwischen der niederländischen Verwaltung, den Küstenprovinzen und den Gemeinden in Fujian.
Die Niederländer wirkten als Katalysator dieser Entwicklung. Zum ersten Mal entstanden auf der Insel politische und wirtschaftliche Strukturen, die den dauerhaften Aufenthalt chinesischer Siedler begünstigten. Die Kolonialverwaltung vergab Land, ließ Bewässerungsanlagen errichten und förderte gezielt den Anbau von Reis und Zuckerrohr. Zheng Zhilong fand Wege, seine Handelsmacht in politische Stellung zu verwandeln, ohne die Freiheit des Meeres aufzugeben. In den 1630er Jahren kontrollierte er weite Teile des Verkehrs über die Formosastraße und spielte eine zentrale Rolle beim Übergang von saisonaler Präsenz zu dauerhafter Besiedlung.
„Co-Kolonisation“ – eine geteilte Expansion
Die niederländische Herrschaft und die chinesische Einwanderung verbanden sich zu einem Prozess, den der Historiker Tonio Andrade als „Co-Kolonisation“ bezeichnet hat. Die VOC bot Sicherheit, Märkte und Land, während die chinesischen Siedler Arbeitskraft, Agrartechnik und lokale Netzwerke einbrachten. Beide Seiten profitierten voneinander, auch wenn die Machtverhältnisse ungleich blieben. Aus dieser Zusammenarbeit erwuchs eine neue Gesellschaftsform, in der europäische Verwaltung, chinesische Landwirtschaft und indigene Lebenswelten eng miteinander verbunden waren.
Landwirtschaft als Wendepunkt

Die Bevölkerungsentwicklung spiegelt diesen Wandel deutlich wider. Um 1623 lebten auf Taiwan nur etwa 1.500 Menschen chinesischer Herkunft, meist Fischer und Händler, die saisonal kamen und gingen. In den folgenden zwei Jahrzehnten wuchs diese Zahl auf mehrere Zehntausend. Dieser Wandel war das Ergebnis gezielter niederländischer Politik: Die Kompanie holte Siedler aus Fujian, verpachtete ihnen Land und verlangte Abgaben in Form von Reis und Zucker. Dadurch entstand innerhalb weniger Jahrzehnte eine bäuerliche Gesellschaft chinesischer Prägung. Mit der Anlage von Reisfeldern, Zuckerrohrplantagen und Kanälen entstand eine neue Nutzung der westlichen Ebenen. Die Dörfer der Siedler breiteten sich entlang der Bewässerungssysteme aus, und aus den einst provisorischen Lagern wurden feste Gemeinden.
Eine neue Küstenlandschaft
Die Siedler bauten Reis, Zuckerrohr und Süßkartoffeln an und versorgten die Häfen mit Lebensmitteln und Holz. Viele Familien blieben dauerhaft, und ihre Dörfer wuchsen rasch. Die niederländische Verwaltung nutzte ihr Wissen über Bewässerung und Anbau, während Zheng Zhilong den Warenaustausch über das Meer kontrollierte. In dieser Phase verwandelte sich die westliche Küstenebene in eine von Landwirtschaft geprägte Kulturlandschaft. Die Verbindung von Kolonialverwaltung und chinesischer Siedlung bildete das Fundament der späteren Gesellschaft Taiwans – ein Geflecht aus Handelswegen, Bewässerungssystemen und Siedlungsinseln, das bis in die Gegenwart erkennbar bleibt.
Zwischen Handel und Herrschaft
Die politische Zugehörigkeit Taiwans blieb unklar. Die Insel stand in den 1630er Jahren unter niederländischer Verwaltung, war aber wirtschaftlich Teil des südchinesischen Küstenraums. Viele Siedler betrachteten ihre Dörfer als Erweiterung ihrer Heimat in Fujian. Der Handel über die Meerenge blieb lebendig und sicherte den Wohlstand beider Seiten. Erst nach dem Niedergang der Ming-Dynastie sollte sich zeigen, wie eng die Geschicke Taiwans mit der Küste Chinas verbunden waren.
Zum Weiterlesen
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– Murray A. Rubinstein (1999): Taiwan. A New History – Standardwerk zur politischen und sozialen Geschichte der Insel.*
– Tonio Andrade (2008): How Taiwan Became Chinese – Einführung in das Konzept der „Co-Kolonisation“ und die Rolle der Landwirtschaft in der frühen Siedlungsgeschichte.*
Bildnachweis
Titel: Fort Zeelandia, Formosa, 1643.
Alles gemeinfrei.
