Indonesien und insbesondere Wallacea, die Inselwelt zwischen den Landmassen Asiens und Ozeaniens, stellt seit Langem ein bedeutendes Gebiet der menschlichen Migrationsforschung dar. Jüngste archäogenetische Studien ermöglichen nun tiefere Einblicke in die komplexe Bevölkerungsgeschichte dieser Region, deren Verständnis bisher hauptsächlich auf archäologischen und linguistischen Befunden beruhte.

Eine unbekannte Jägerin – Das Genom der „Besséʼ“

Eine entscheidende Entdeckung gelang mit der genetischen Analyse der sogenannten „Besséʼ“, einer Jägerin und Sammlerin aus der Toalean-Kultur, die vor etwa 7200 Jahren in Südsulawesi lebte. Ihr Genom brachte eine bislang unbekannte genetische Abstammungslinie ans Licht. Etwa die Hälfte ihres genetischen Materials weist Gemeinsamkeiten mit heutigen Papua- und australischen Aborigines-Populationen auf. Bemerkenswert ist zudem der Nachweis von Denisova-DNA, einer archaischen Menschenform, deren Präsenz in Südostasien und Ozeanien bislang nur unzureichend erforscht war. Diese Entdeckung liefert bedeutende Hinweise auf frühzeitige Vermischungen zwischen modernen Menschen und archaischen Homininen in der Region.
Frühe genetische Vielfalt in Wallacea
Eine weitere Studie aus dem Jahr 2022 untersuchte 16 antike Genome aus den letzten drei Jahrtausenden (2600–250 Jahre vor heute). Diese Genome offenbaren, dass die Bevölkerungsgeschichte Wallaceas erheblich komplexer ist als bislang angenommen. Neben den gut dokumentierten austronesischen Seefahrern, die ab etwa 3500 Jahren vor heute von Taiwan aus nach Indonesien migrierten, konnte eine zuvor wenig bekannte genetische Komponente identifiziert werden, die vom südostasiatischen Festland stammt. Diese genetische Präsenz existierte bereits vor der Ankunft der Austronesier, was deutlich macht, dass Wallacea durch multiple und zeitlich gestaffelte Wanderungen geprägt wurde.
Großangelegte genetische Studie – Papuanische Migrationen nach Wallacea
Ende 2024 erschien eine umfassende Studie, die 254 Genome aus Wallacea und West-Papua analysierte. Diese Untersuchung liefert entscheidende neue Erkenntnisse zur genetischen Abstammung heutiger Wallacea-Bewohner. Die Ergebnisse zeigen eindeutig, dass die heute dominierende papua-verwandte genetische Abstammung hauptsächlich das Resultat von Rückwanderungen aus Neuguinea ist, die innerhalb der letzten 3500 Jahre stattfanden. Diese Bewegungen verliefen parallel zur Ausbreitung der austronesischen Seefahrer und führten zu einem nachhaltigen genetischen Austausch, der bis in die historische Periode hinein andauerte. Diese Daten widerlegen die Annahme einer kontinuierlichen genetischen Linie von den frühen modernen Menschen, die Sahul vor rund 50.000 Jahren erreichten, zu den heutigen Bewohnern Wallaceas.

Denisova-Einflüsse und komplexe Bevölkerungsmischungen
Die Entdeckung der Denisova-DNA in der Region deutet darauf hin, dass archaische und moderne Menschen in Wallacea interagierten und sich genetisch vermischten. Diese Vermischungen fanden offenbar mehrfach statt und hinterließen ein komplexes genetisches Muster, das bis heute in der Bevölkerung der Region nachweisbar ist. Solche archaischen Mischungen sind ein zunehmend wichtiges Element im Verständnis der globalen menschlichen Evolution.
Konsequenzen für das archäologische und linguistische Verständnis

Die neuen genetischen Erkenntnisse erfordern eine grundlegende Revision der bestehenden archäologischen und linguistischen Modelle zur Besiedlung und Migration in Wallacea.
Statt einer simplen und linearen Expansion der Austronesier zeichnen die genetischen Daten ein Bild von komplexen, multidirektionalen und mehrfachen Migrationen und genetischen Vermischungen. Archäologen und Linguisten stehen nun vor der Aufgabe, diese neuen genetischen Ergebnisse in ihre Modelle zu integrieren und die bisherigen Vorstellungen entsprechend zu modifizieren.

Zum Weiterlesen:
- Purnomo et al. (2024): „The genetic origins and impacts of historical Papuan migrations into Wallacea“ (PNAS), umfassende genetische Studie zur Bevölkerungsentwicklung Wallaceas.
- Carlhoff et al. (2021): „Genome of a middle Holocene hunter-gatherer from Wallacea“ (Nature), Analyse des ersten antiken Genoms aus Südsulawesi.
- Oliveira et al. (2022): „Ancient genomes from the last three millennia support multiple human dispersals into Wallacea“ (Nature Ecology & Evolution), detaillierte genetische Untersuchungen zu multiplen Einwanderungswellen nach Wallacea.
Bildnachweis
Titel: Tondano-See, Sulawesi, Wikimedia Commons, Theaprilseventeen.
Karte Südostasien/Australien: Wikimedia Commons, Kanguole.
Karte Migration: Public domain.
Bessé: Wikimedia Commons, Carlhoff, Selina; Duli, Akin; Nägele, Kathrin; Nur, Muhammad; Skov, Laurits; Sumantri, Iwan; Oktaviana, Adhi Agus; Hakim, Budianto; Burhan, Basran; Syahdar, Fardi Ali; McGahan, David P.
Leang Panninge: Wikimedia Commons, Carlhoff, Selina; Duli, Akin; Nägele, Kathrin; Nur, Muhammad; Skov, Laurits; Sumantri, Iwan; Oktaviana, Adhi Agus; Hakim, Budianto; Burhan, Basran; Syahdar, Fardi Ali; McGahan, David P.
Werkzeuge: Wikimedia Commons, Carlhoff, Selina; Duli, Akin; Nägele, Kathrin; Nur, Muhammad; Skov, Laurits; Sumantri, Iwan; Oktaviana, Adhi Agus; Hakim, Budianto; Burhan, Basran; Syahdar, Fardi Ali; McGahan, David P.