Die Aufnahme von Preah Vihear in die UNESCO-Welterbeliste im Juli 2008 war ein diplomatischer Erfolg für Kambodscha und zugleich ein innenpolitisches Signal. Premierminister Hun Sen nutzte den Tempel, um nationale Einheit zu beschwören, seine Macht zu festigen und sich international als berechenbarer Akteur zu präsentieren.
Der Tempel als nationale Ressource
Preah Vihear galt in Kambodscha lange als Randgebiet. Die Ereignisse ab 2008 machten ihn zum zentralen Symbol nationaler Selbstbehauptung. Die Regierung inszenierte die UNESCO-Anerkennung als diplomatischen Triumph und als Wiederherstellung eines vermeintlich natürlichen Zustands: Der Tempel wurde zum Fokuspunkt für Vorstellungen von Souveränität, geschichtlicher Kontinuität und kultureller Tiefe. In Reden, Lehrbüchern und Medien wurde er als Beweis für historische Opferbereitschaft und internationale Anerkennung zugleich dargestellt. Diese symbolische Aufladung diente zur Konsolidierung nationaler Einheit und auch zur Mobilisierung politischer Loyalität. Grenzschutz und Denkmalpflege verschmolzen zu einem Instrument staatlicher Selbstvergewisserung.
Der Premier als Schutzpatron

Hun Sen reagierte auf thailändische Proteste mit militärischer Entschlossenheit und internationaler Vermittlung. Er brachte den Fall erneut vor den IGH, sicherte sich UN-Unterstützung und nutzte jede Eskalation zur innenpolitischen Profilierung. Die Rolle als Verteidiger der Nation überlagerte innenpolitische Kontroversen. Die Grenztruppen wurden gestärkt, neue Straßen gebaut, Militärbüros im Tempelareal eingerichtet. Gleichzeitig diente der Konflikt dazu, Hun Sens Sohn Hun Manet als künftigen Führungskandidaten in Szene zu setzen. Von Bedeutung war dabei auch Hun Sens enge Beziehung zu der thailändischen Politikerfamilie Shinawatra. Beide Seiten verbanden über Jahre wirtschaftliche und politische Kontakte, die ein informelles Netz der Zusammenarbeit bildeten.
Die Rhetorik des Opfers
Kambodscha inszenierte sich wiederholt als Opfer kolonialer Ungleichheit und thailändischer Dominanz. In Medien, Schulen und Museen wurde der Tempel zu einem Ort nationaler Erinnerung umgedeutet. Die Bilder von Angriffen, Zerstörung und Opferbereitschaft wurden über Jahre hinweg konserviert und politisch aufgeladen. Der Streit um wenige Quadratkilometer wurde so zur Erneuerung einer historischen Identität genutzt, die sowohl auf kulturellem Erbe als auch auf erlittener Verletzung basiert.
Entwicklung unter nationalem Vorzeichen
Der Konflikt brachte neue Infrastruktur in eine vormals isolierte Region: befestigte Wege, Elektrizität, Mobilfunk, Schulbauten. Gleichzeitig entstanden Militärcamps, Kasinos und Verwaltungsposten entlang der Grenze.
Eskalation 2025

Im Juli 2025 kam es zu den schwersten Gefechten an der thailändisch-kambodschanischen Grenze seit mehr als 15 Jahren. Nach Angaben der Behörden wurden sowohl Soldaten als auch Zivilisten getötet und über 100.000 Anwohner evakuiert. Beobachter sehen in dieser Eskalation nicht nur einen territorialen Konflikt, sondern auch die Folge zerbrochener persönlicher Netzwerke.
Über Jahre hatten die Familie des ehemaligen kambodschanischen Premiers Hun Sen und die thailändische Familie Shinawatra enge politische und wirtschaftliche Kontakte gepflegt. Dieses Verhältnis zerbrach, als Hun Sen ein vertrauliches Telefonat mit der damaligen thailändischen Regierungschefin Paetongtarn Shinawatra veröffentlichte, in dem sie ihn als „Onkel“ ansprach und thailändische Militärs kritisierte. Die Veröffentlichung führte in Bangkok zu einem politischen Skandal und zur Suspendierung Paetongtarns. Seitdem sind die bilateralen Beziehungen tief erschüttert und die Gefahr weiterer Auseinandersetzungen bleibt hoch
Zum Weiterlesen
- Rattanasengchanh, P. Michael (2017): Hun Sen, Cambodia and the Thai–Cambodian Temple Dispute: The Politics of Nationalist Discourse. Asian Affairs.
- (Analyse der politischen Instrumentalisierung des Tempels durch Hun Sen)
- Ngoun, Kimly (2016): Narrating the National Border: Cambodian State Rhetoric vs Popular Discourse on the Preah Vihear Conflict. Journal of Southeast Asian Studies.
- (Wahrnehmung der Grenzpolitik aus Sicht der lokalen Bevölkerung)
- Chechi, Alessandro (2015): The 2013 Decision of the ICJ on the Temple of Preah Vihear. International Journal of Cultural Property.
- (Rechtlicher Kontext und Bedeutung für das Welterbe)
Bildnachweis
Titel: Preah Vihear.
Shinawatra: Government Open Data Licence -India.