
Die burmesische Herrschaft über das Königreich Lan Na zwischen 1558 und 1775 gilt in der thailändischen Geschichtsschreibung als „dunkles Zeitalter“. In Schulbüchern, TV-Serien und historischen Romanen erscheint diese Periode als Epoche der Repression, der Verarmung und des kulturellen Verfalls. Doch dieser Blick ist nicht neutral. Vielmehr handelt es sich um ein nationales Deutungsmuster, das aus dem Schock der Zerstörung Ayutthayas 1767 durch burmesische Truppen hervorging. Die pauschale Abwertung der burmesischen Herrschaft in Nordthailand diente lange der Konstruktion eines homogenen Thai-Nationalbewusstseins. Der Historiker Ken Kirigaya zeigt, dass sich dieses Narrativ mit der Quellenlage nur bedingt vereinbaren lässt.
Die Entstehung eines Feindbildes
Die tief eingegrabene Feindbildstruktur hat eine doppelte Wurzel: Zum einen entstand sie aus den traumatischen Erfahrungen der letzten burmesischen Invasion unter der Konbaung-Dynastie. Zum anderen wurde sie im 19. und 20. Jahrhundert bewusst kultiviert, um einheitliche „Thainess“ zu definieren.
Wie der Historiker Thongchai Winichakul darlegt, erfüllt die burmesische Fremdheit in der nationalen Historiographie eine projektive Funktion: Sie grenzt das Eigene negativ gegen das Andere ab. Diese Mechanik wirkt nicht nur in der Erfindung der „bösartigen Burmesen“, sondern auch in der nachträglichen Gleichsetzung von Lan Na mit dem heutigen Thailand. Die historische Vielfalt der Tai-Staaten wird durch ein vereinheitlichendes Narrativ verdeckt.
Herrschaftsrealitäten
Tatsächlich war die burmesische Herrschaft in Lan Na weder homogen noch durchgehend repressiv. Insbesondere unter der Taungoo-Dynastie (ab ca. 1615) zeigen Chroniken, Inschriften und ausländische Berichte ein differenziertes Bild.

Nach einer Phase innerer Zersplitterung stabilisierten burmesische Eingriffe die Region. Gouverneure wurden eingesetzt, lokale Eliten integriert und die Wirtschaftsbeziehungen sowohl mit Ayutthaya als auch mit der Bucht von Bengalen aufrechterhalten. Die Stadt Chiang Mai blieb ein regionales Handelszentrum, das in den Quellen des VOC mehrfach als Umschlagplatz für indische Baumwollwaren erscheint. Selbst religiöse Institutionen konnten unter burmesischer Oberhoheit weiterbestehen, wie Stiftungen, Klosterbauten und literarische Traditionen belegen.
Besonders deutlich wird das in der Beurteilung der sogenannten „dreißig Jahre des Friedens“ (ca. 1630–1660), in denen weder größere Aufstände noch Zwangsumsiedlungen verzeichnet sind. Ein Zeitraum, der in früheren Jahrhunderten so kaum vorkam. Auch der Vorwurf, burmesische Statthalter hätten die Bevölkerung systematisch ausgebeutet, lässt sich mit Blick auf die damals üblichen Steuerpraktiken und Preisverhältnisse relativieren.
Zum Weiterlesen
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Kirigaya, Ken (2015): Lan Na under Burma: A “Dark Age” in Northern Thailand?
Penth, Hans (2001): A Brief History of Lanna.* Kompakte, quellennahe Darstellung zur politischen Geschichte des Nordens.
Bildnachweis
Titel: Chedi Luang, Baubeginn im 14. Jahrhundert. Wikimedia Commons, Kingkidton.
Karte: Wikimedia Commons, Nyaungyan.
Königsstatuen: Wikimedia Commons, Sry85.