
Die Geschichte Australiens beginnt nicht mit James Cook, auch nicht mit der First Fleet. Lange bevor britische Schiffe vor Sydney Cove ankerten, kamen andere Besucher an die Küsten des Kontinents. In der Region Arnhem Land, im heutigen Northern Territory, erinnern sich indigene Gemeinschaften bis heute an eine Zeit des regelmäßigen Austauschs mit Seeleuten aus dem heutigen Indonesien. Diese Kontakte waren friedlich, wiederkehrend und auf gegenseitigem Nutzen beruhend und sie widersprechen dem Bild Australiens als lange isoliertem Kontinent.
Die Segel der Makassaren

Seit spätestens dem frühen 18. Jahrhundert kamen jedes Jahr Boote aus der südwestlichen Region Sulawesis, dem heutigen Makassar, an die Küsten Nordaustraliens. Ihre Besatzungen waren auf der Suche nach Trepang, auch Seegurken genannt, die in China als begehrtes Handelsgut galten. Die Makassaren errichteten temporäre Lager, kochten und trockneten die Trepang direkt vor Ort, und segelten dann mit der nächsten Monsunwende zurück nach Sulawesi.
Die Fahrt war kein einmaliges Unternehmen, sondern ein etabliertes, saisonales System mit festen Routen und Handelsbeziehungen. In manchen Jahren kamen über 1.000 Seeleute in bis zu 60 Booten. Das Wissen um Windrichtungen, Strömungen und geeignete Küstenabschnitte wurde über Generationen weitergegeben.
Handel auf Augenhöhe

Die Yolŋu, die in den Küstengebieten von Arnhem Land lebten, begegneten den Makassaren nicht als Unterlegene. Vielmehr entwickelte sich ein geregelter Austausch. Die Besucher brachten Metallwerkzeuge, Stoffe, Tabak und gelegentlich Reis. Im Gegenzug erhielten sie Zugang zu Arbeitskräften, Wasserstellen und Küstenabschnitten, die sie zur Verarbeitung der Trepang nutzen durften. Die Kommunikation erfolgte in einem vereinfachten Pidgin-Malaiisch, das sich als Handelssprache bewährte.
Dieser Austausch war nicht nur ökonomischer, sondern auch kultureller Natur. Einige Rituale, Wörter und Objekte der Yolŋu-Gemeinschaften tragen noch heute Spuren dieses Kontakts. Auch islamische Einflüsse sind vereinzelt nachweisbar, etwa in Form bestimmter Begriffe oder Elemente der Erzähltradition.
Eine andere Form der Begegnung
Im Vergleich zur britischen Kolonisation nach 1788 war die Anwesenheit der Makassaren bemerkenswert unaufdringlich. Sie kamen nicht, um Land zu beanspruchen, zu missionieren oder Herrschaft auszuüben. Die Makassaren siedelten nicht dauerhaft, führten keine Kriege und betrachteten das Land nicht als etwas, das man besitzen konnte.
Für die Yolŋu waren die Makassaren Gäste, keine Feinde. Die Beziehungen waren nicht konfliktfrei, aber sie folgten anderen Mustern als die späteren kolonialen Konfrontationen. Das Wissen um diese Begegnungen ist in Liedern, Erzählungen und Familienüberlieferungen lebendig geblieben – auch wenn es in der nationalen Geschichtsschreibung lange verdrängt wurde.
Vergessene Geschichte

Die Gründe für das Vergessen liegen in der kolonialen Perspektive, die lange das Bild von Australiens Vergangenheit prägte. Die Vorstellung eines leeren, „entdeckten“ Kontinents, auf dem mit Cook und Phillip die Geschichte beginnt, passte nicht zu einer Erzählung, in der indigene Gemeinschaften selbstbestimmt internationale Kontakte pflegten.
Zudem stand der Kontakt mit asiatischen Seeleuten quer zum europäischen Zivilisationsnarrativ. Ein friedlicher, gleichberechtigter Austausch mit muslimischen Händlern aus dem malaiischen Raum störte das Bild des „primitiven“ Australien, das erst durch britische Präsenz in die Geschichte eintrat.
Erst in den letzten Jahrzehnten ist diese Begegnung verstärkt in das historische Bewusstsein gerückt. In Schulbüchern, Ausstellungen und indigenen Projekten wird die Rolle der Makassaren zunehmend gewürdigt, nicht als Kuriosität, sondern als Teil einer eigenständigen, vernetzten australischen Geschichte.
Zum Weiterlesen
Macknight, C.C. (1976): The Voyage to Marege: Macassan Trepangers in Northern Australia. Melbourne University Press.
→ Der klassische Standardtitel zum Thema. Gut belegt, sprachlich zugänglich.
Clarke, Anne (2000): Time, Tradition and Transformation: The Role of Macassan Contact in the Archaeology of Indigenous Australia. In: World Archaeology 32(3), S. 365–379.
→ Betrachtet die Makassarenkontakte aus archäologischer Perspektive.
Mulvaney, John; Kamminga, Johan (1999): Prehistory of Australia. Sydney: Allen & Unwin.
→ Kapitel über Handel und Kontakt im Norden; breiter Überblick.
Tindale, Norman B. (1925): Natives of Groote Eylandt and of the West Coast of the Gulf of Carpentaria. In: Records of the South Australian Museum.
→ Frühethnographische Beschreibung; erwähnt auch Makassar-Einflüsse.
Nugent, Maria (2005): Botany Bay: Where Histories Meet. Allen & Unwin.
→ Verbindet klassische Gründungsgeschichte mit indigenen Perspektiven, thematisiert auch „vergessene“ Kontakte.
Roberts, David Andrew (2013): Before Cook: Rediscovering Australia’s Aboriginal Past. In: History Compass, 11(6), S. 427–438.
→ Gute Einführung in alternative Zugänge zur australischen Frühgeschichte.
Bildnachweise
Titel: Goyder River, Wikimedia Commons, Glen Dillon.
Indonesien/Australien: Wikimedia Commons, Mestska.
Australienkarte: Wikimedia Commons, Kwamikagami.