Schrift und Staatsidee – Wie der Yamato-Hof mit chinesischer Symbolik arbeitete

Rezeption ohne Unterwerfung

Als sich in Zentraljapan erste staatliche Strukturen formten, griff der Yamato-Hof nicht nur auf lokale Allianzen und rituelle Autorität zurück. Er übernahm zugleich ausgewählte Impulse aus China, jedoch nicht in der Absicht zu kopieren, sondern um sie in ein eigenes Modell von Ordnung zu überführen. Schrift, Titel und Kalender wurden nicht einfach übernommen, sondern umgedeutet. Sie dienten der Darstellung von Herkunft und der symbolischen Absicherung von Herrschaft.

Schrift zwischen Symbol und Funktion

Schriftzeichen chinesischen Ursprungs sind in Japan ab dem 5. Jahrhundert belegt. Sie erscheinen zunächst auf Schwertern und Bronzespiegeln, etwa als Inschriften zur Bezeichnung des Besitzers oder zur Markierung von Rang und Genealogie. Ein bekanntes Beispiel ist das Inariyama-Schwert, dessen Inschrift mehrere Generationen eines Kriegergeschlechts nennt. Wie Gina Barnes und Koji Mizoguchi zeigen, wurde Schrift in dieser Phase nicht zur Verwaltung verwendet, sondern zur genealogischen Legitimation. Hinweise auf einen systematischen Gebrauch für Verwaltung oder Rechtspraxis gibt es aus dieser Zeit nicht. Der Nutzen der Schrift bestand vielmehr darin, Abstammung sichtbar zu machen und sakrale Objekte mit überzeitlicher Bedeutung zu versehen.

Inariyama-Schwert

Delmer Brown hebt hervor, dass Schrift in der Frühzeit nicht in erster Linie zur Verwaltung diente, sondern vor allem dazu, Herkunft und Zugehörigkeit zu kennzeichnen. Sie wurde verwendet, um Ahnenlinien zu betonen und Rang sichtbar zu machen. Damit war sie Teil eines Systems, in dem Autorität nicht durch Vorschriften, sondern durch Zeichen von Abstammung und ritueller Ordnung vermittelt wurde.

Chinesische Titel als Mittel der Innenpolitik

Bu Yūryaku, Darstellung von 1894

Die Gesandtschaften an den chinesischen Kaiserhof hatten vor allem innenpolitische Funktion. Chinesische Titel wie derjenige, den Bu (Yūryaku) im Jahr 478 erhielt, stärkten nicht die Beziehungen zu China, sondern die Autorität des Yamato-Herrschers gegenüber lokalen Eliten. Die Darstellung militärischer Macht war Teil einer Strategie, Legitimität symbolisch zu untermauern und nicht Ausdruck realer Kontrolle.

Kalendersystem – zur besseren Ordnung

Ein weiterer zentraler Import war das chinesische Kalendersystem. Die Einführung des Sechzig-Jahre-Zyklus markiert mehr als nur die Übernahme einer Zeitrechnung. Sie erlaubte es dem Hof, Feste, Rituale und Regierungsperioden in eine überregionale, kosmologisch fundierte Ordnung einzubetten. Die Kontrolle über den Kalender war damit auch Kontrolle über den richtigen Zeitpunkt; über das, was getan werden durfte und wann es getan werden musste.

Der Kalender diente nicht nur der Synchronisierung, sondern vor allem der Einbindung des Hofes in eine überzeitliche Ordnung. Er wurde zum Mittel, um Macht mit kosmischer Legitimität auszustatten, ohne auf ausgebaute Verwaltung zurückgreifen zu müssen.

Institutionelle Elemente ohne Staat

In geringerem Maß wurden auch Titel und Rangsysteme aus China übernommen. Zwar existierte in Yamato kein Beamtenapparat nach chinesischem Vorbild, doch finden sich Hinweise auf Hofränge, die ideologisch auf sinitische Begriffe zurückgriffen. Die Rezeption war dabei stets gebunden an die Bereitschaft, solche Titel in bestehende Hierarchien und Kultpraktiken zu integrieren.

Die sogenannte „Staatsidee“ in Yamato folgte keinem westlichen Verständnis von Legitimation durch Gesetz oder Institution. Sie beruhte vielmehr auf Ordnungsvorstellungen, die sich aus kosmologischen Deutungen, genealogischer Abstammung und ritueller Praxis speisten. Kidder beschreibt diese Phase als eine Zeit, in der ausgewählte Elemente chinesischer Zivilisation aufgenommen und in eine eigenständige Erzählung von Herkunft und Vorrangstellung eingebettet wurden. Auf diese Weise entstand ein Herrschaftsmodell, das äußere Einflüsse nutzte, um eine innere Ordnung zu stabilisieren.


Der chinesische 60-Jahres-Zyklus (liùshí jiàzǐ 六十甲子) entsteht durch die Kombination von zehn Himmelsstämmen (tiāngān 天干) und zwölf Erdzweigen (dìzhī 地支), wobei sich jede Himmelsstamm-Erdzweig-Paarung nur einmal im Zyklus wiederholt. Die zehn Himmelsstämme stehen für die fünf Elemente (Holz, Feuer, Erde, Metall, Wasser), jeweils in Yin- und Yang-Form, während die zwölf Erdzweige den Tierkreiszeichen zugeordnet sind. Da 10 und 12 keinen gemeinsamen Teiler außer 2 haben, durchlaufen sie erst nach 60 Jahren wieder dieselbe Kombination.

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Zum Weiterlesen

  • Delmer M. Brown (Hrsg.): The Cambridge History of Japan, Volume 1: Ancient Japan (Cambridge University Press, 1993).
    Bietet eine fundierte Analyse des Kulturtransfers zwischen China und Japan in der Frühzeit, insbesondere zur Einführung von Schrift, Kalender und politischen Konzepten im Yamato-Zentrum.
  • Mark J. Hudson: Ruins of Identity. Ethnogenesis in the Japanese Islands (University of Hawai‘i Press, 1999).
    Untersucht, wie symbolische Praktiken, darunter chinesische Titel und rituelle Schriftverwendung, zur Ausbildung einer kulturell begründeten Herrschaftsstruktur beitrugen.
  • J. Edward Kidder, Jr.: Himiko and Japan’s Elusive Chiefdom of Yamatai. Archaeology, History, and Mythology (University of Hawai‘i Press, 2007).
    Zeigt anhand der Frühgeschichte Yamatos, wie chinesische Konzepte selektiv adaptiert wurden, um eine eigenständige Form politischer Legitimation zu entwickeln.
  • Gina L. Barnes: State Formation in Japan. Emergence of a 4th-Century Ruling Elite (Routledge, 2006).
  • Analysiert die politische Rolle frühzeitlicher Objekte wie des Inariyama-Schwerts und zeigt, wie Schrift zur Legitimation von Herrschaft diente.
  • Koji Mizoguchi: The Archaeology of Japan. From the Earliest Rice Farming Villages to the Rise of the State (Cambridge University Press, 2013). Legt besonderes Augenmerk auf symbolische Kommunikation in der Frühzeit Japans und diskutiert Schriftgebrauch als Ausdruck genealogischer Ordnung.

Bildnachweis

Karte: Wikimedia Commons, Samhanin.

Schwert: Wikimedia Commons, Ocdp, Museum of The Sakitama Ancient Burial Mounds.

六 十 干 支, 60-Jahre-Zyklus: https://ytliu0.github.io/ChineseCalendar/sexagenary_chinese.html

Alles andere public domain.

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